In diesen Branchen ist die Furcht vor der Pleite am größten
Gastronomie: Sterben auf Raten
Das Brauhaus Webster in Duisburg bietet in der Innenstadt selbst gebrautes Bier und deftige Speisen. „Vor Corona ging es uns finanziell gut“, sagt der geschäftsführende Gesellschafter Marc Weber. Als mit dem Lockdown das Geschäft wegbrach, schickte er die meisten der 40 Mitarbeiter bis Mai in Kurzarbeit. Weber war dankbar, dass er die Gaststätte mit staatlicher Soforthilfe am Leben halten konnte. 25.000 Euro bekam das Brauhaus für die Monate März bis Mai vom Bund und vom Land Nordrhein-Westfalen.
Doch kürzlich kam das unsanfte Erwachen in Form eines Formulars. Weber soll ausrechnen, ob die Finanzhilfe höher ist als sein Umsatzausfall abzüglich eingesparter Kosten wie Mietminderung. Die zu viel gezahlten Mittel soll er an die Landeskasse zurück überweisen. „Obwohl wir Verluste höher als unser Eigenkapital eingefahren haben, müssen wir wohl die Soforthilfe komplett zurückzahlen“, ärgert sich Gastronom Weber. „Dann wäre das Brauhaus Webster überschuldet und müsste nach fast 30 erfolgreichen Jahren Insolvenz anmelden.“
Für viele Wirte und Kleinunternehmer erweist sich die staatliche Soforthilfe, die dazu gedacht war, die Existenz zu sichern, nun als Insolvenzfalle. Personalausgaben nach Abzug des Kurzarbeitergeldes dürfen ebenso wenig als Kosten geltend gemacht werden wie Rechnungen, die zwischen März und Mai anfielen, aber nicht in diesem Zeitraum bezahlt wurden. Diese Regeln waren offenbar vielen Gastronomen nicht bewusst.
„Die meisten Gastronomen hatten im April kein Geld mehr und deshalb Miet- oder Stromzahlungen gestundet. Das erweist sich jetzt als Bumerang“, sagt Weber. Die gestundeten Zahlungen müssen später nachgeholt werden, können aber nach jetzigem Stand nicht aus den Hilfen bezahlt werden. Nach Beschwerden hat die Landesregierung das Verfahren erst einmal auf Eis gelegt und hält Rücksprache mit dem Bund.
Obwohl Restaurants wieder unter Auflagen öffnen dürfen, hat sich die Branche kaum erholt, denn die Gäste fehlen. Im Mai lag der Umsatz der Gastronomie um 54,6 Prozent unter dem Vorjahresmonat. Das ermittelte das Statistische Bundesamt.
Die Lage ist zweigeteilt: „Gastronomie in Feriengebieten und mit großen Terrassen erzielt bis zu 80 Prozent ihrer alten Umsätze. Kleine Restaurants und Kneipen kommen gerade mal auf 30 bis 40 Prozent“, beobachtet Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin des Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga.
„Durch die Abstandsgebote hat die Branche weiter massive Umsatzausfälle.“ Hartges warnt vor einer Pleitewelle – nach zehn Rekordjahren mit 300.000 neuen Stellen im Gastgewerbe: „Die Existenz von 70.000 Betrieben und Hunderttausenden Arbeitsplätzen ist bedroht.“
Nach einer Umfrage des Ifo-Instituts sahen im Juni zwei Drittel der befragten Gastronomen ihr Überleben gefährdet. Hartges erwartet, dass mindestens ein Drittel der Betriebe vom Markt verschwindet. In vielen Städten haben traditionsreiche Lokale bereits geschlossen – in Düsseldorf etwa Robert’s Bistro oder der Kult-Japaner Kikaku.
Promi-Gastronomin Sarah Wiener musste diese Woche ebenfalls Insolvenz für ihre Restaurants in Berlin und ihren Cateringservice anmelden. Und sie befürchtet, dass das Sterben viele weitere Betriebe trifft. „Für die Vielfalt der Gastroszene – das Besondere, das Wilde – ist das ganz bitter.“
Die Gastronomie bräuchte jetzt einen unglaublichen Boom, um das finanzielle Loch der letzten Monate zu kompensieren, meint Wiener. Doch der ist nicht in Sicht. Der Verband Dehoga verlangt deshalb eine Erhöhung und Verlängerung der Überbrückungshilfen über den August hinaus.
Derweil planen der neu formierte Bund der Gastfreundschaft und etliche Kanzleien Sammelklagen, um für die Gastro-Zwangsschließungen Entschädigungen von den Ländern zu erwirken. Sie berufen sich dabei auf das Infektionsschutzgesetz. „Deutschland ohne bunte Gastrolandschaft – dieser Gedanke ist für uns unerträglich“, sagt Johannes Riffelmacher vom Bund der Gastfreundschaft. „Für unsere Branche steht längst alles auf dem Spiel.“
Das gilt auch für das Brauhaus Webster. Selbst im Juni lag der Umsatz erst bei 30 Prozent des Normalgeschäfts. Der Staat hätte sich die Hilfsgelder sparen können, wenn viele Firmen sie wieder zurückzahlen müssen, meint Wirt Weber: „Die Insolvenzwelle ist dadurch nur verzögert, nicht aber gestoppt worden.“
Katrin Terpitz