Insolvenzwelle in der Autoindustrie ist nicht mehr zu stoppen
Mercedes-Stern-Hersteller pleite
Halbleitermangel, Lieferkettenprobleme, steigende Löhne und explodierende Energiekosten: Das Marktumfeld für die deutsche Automobilindustrie ist alles andere als rosig. Am schlimmsten trifft es kleine Zulieferer. Die Politik ist gefragt.
Die BIA Gruppe, die den berühmten Mercedes-Stern im Portfolio hatte, ist insolvent.
Symbolträchtiger könnte es kaum sein: Jetzt ist auch noch der Mercedes-Stern pleite. Es geht wohlgemerkt nicht um die Stuttgarter Nobelschmiede mit dem Stern als Markenzeichen. Nein, es geht um den Mercedes-Stern selbst und dessen Hersteller, den Zulieferer BIA aus Forst bei Bruchsal in Baden. Stetig fallende Umsätze und die Explosion der Energiekosten hätten zu rasant ansteigenden Verlusten geführt, die eine „nachhaltige Fortführung der Gesellschaft“ unmöglich gemacht hätten, erklärte BIA-Geschäftsführer Jörg Püttbach kürzlich.
BIA ist kein Einzelfall
Die Firma BIA steht exemplarisch für die Krise in der gesamten deutschen Zulieferindustrie: Auch das nordrhein-westfälische Traditionsunternehmen Borgers, Spezialist für textile Bauteile in Fahrzeugen, musste nach 156 Jahren Familientradition Insolvenz anmelden. Ebenso der oberfränkische Belüftungsspezialist Dr. Schneider, der Bauteile für den Fahrzeuginnenraum wie Verkleidungen oder Belüftungssysteme fertigt und zu dessen Kunden Audi, BMW, Mercedes, Ferrari, Jaguar Toyota und Volvo zählen.
Kein Wunder, dass prominente Branchenvertreter vor dem Hintergrund des jüngsten Tarifabschlusses in der Metallindustrie – 8,5 Prozent bei einer Laufzeit von zwei Jahren – eindringlich vor einer Pleitewelle in ihren Reihen warnen. Er habe in den vergangenen 25 Jahren noch nie solche massiven Kostensteigerungen erlebt, sagt Elringklinger-Chef und Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf. Er rechnet für das erste Halbjahr 2023 mit vielen Insolvenzen.
Tarifabschlüsse bringen Fass zum Überlaufen
Im Herbst 2022 kommt viel zusammen: Die Krisen folgen immer schneller aufeinander, die Belastungen der Automobilzulieferer verstärken sich dabei gegenseitig. Am Anfang stand der Investitionszwang für die Transformation zur Elektromobilität. Dann kam die Coronavirus-Pandemie, gefolgt von Lieferengpässen und den Knappheiten bei Halbleitern, Vormaterialien und Rohstoffen. Zu alldem explodieren auch noch die Energiekosten. Die nun noch hohen Tarifabschlüsse tun ihr Übriges.
Die Branche hat wahrlich bessere Tage gesehen: In Deutschland wurden 2016 in der Spitze noch 5,7 Millionen Pkw hergestellt. 2021 waren es noch 3,1 Millionen, in diesem Jahr werden es weniger als drei Millionen sein. Wie sollen kleine und mittelständische Zuliefererunternehmen diese Belastungen schadlos wegstecken? Das alles führt zwangsläufig nur noch zu mehr Insolvenzen.
Es trifft die Großen wie die Kleinen in der Branche. Selbst Riesen wie Bosch, Continental, ZF, Schaeffler oder Mahle verdienen kaum noch Geld oder kämpfen mit roten Zahlen. Am härtesten aber trifft es – wie im richtigen Leben auch – die kleinen Zulieferer. Die, die nur Einzelteile und keine ganzen Systeme liefern wie die Branchengrößen.
Die, die ohnehin im starken Kosten- und Verdrängungswettbewerb stehen, weil sie leichter von ihren großen und mächtigen Abnehmern gegen billigere Wettbewerber vom Weltmarkt ausgetauscht werden können. Natürlich versuchen die Zulieferer eine Kompensation für die Kostensteigerungen von ihren Kunden zu erhalten. Aber das gelingt nur bedingt – und allenfalls den Großen.
Appelle und Beschwichtigungen
Noch nie war die Automobilindustrie so in Aufruhr wie heute, wie Thomas Burger, Präsident des Wirtschaftsverbandes der Badischen Industrie, mit 300 Zulieferern, kürzlich erklärte. Auch Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der deutschen Automobilindustrie (VDA), ist voller Sorgen ob dieses Interessengegensatzes. Beschwörend appelliert sie an den Gemeinsinn ihrer Mitglieder: „Gemeinsame Verantwortung und gemeinsamer Erfolg können nur gelingen, wenn Risiken und Chancen zwischen den Partnern der Lieferkette angemessen verteilt und geteilt werden.“ Doch im Lichte der harten Wirklichkeit ist das ein frommer Wunsch.
Vielfach wird beschwichtigt mit dem Hinweis, Krisen in der Autoindustrie und Insolvenzen in der Zulieferbranche habe es in der Vergangenheit immer wieder gegeben. Vor gut zehn Jahren war die letzte, Pessimismus sei in der Branche kein Fremdwort. Damals, 2009, mitten in der globalen Finanzkrise, wurde von der Unternehmensberatung Oliver Wymann eine Pleitewelle in der Zulieferindustrie mit über 100.000 Beschäftigten befürchtet. Selbst die Firma Schäffler, heute renommierter Vertreter der deutschen Zulieferindustrie, stand damals am Rande der Insolvenz.
Die befürchtete Pleitewelle trat aber nicht ein. Nicht, weil sich die Experten geirrt hätten. Nein, vielmehr weil sich die Automobilkonjunktur ebenso schnell erholte, wie zuvor der Einbruch geschehen war. Was dann folgte, war eine Dekade ununterbrochenen Wachstums.
Wiederholt sich die Geschichte?
Diesmal ist jedoch alles anders. Die Unterauslastung der Fabriken, der finanzielle Stress der Unternehmen dauern einfach schon zu lang an. Die Energiekosten sind nicht mehr zu kalkulieren. Am schlimmsten ist aber der Volumenverlust. Den Zulieferern fehlen nicht nur Produktions-Stückzahlen, sondern vor allem Wertschöpfung: Bei einem Verbrenner gibt es über 1400 verschiedene Bauteile, bei einem E-Auto nur 200.
Und auch die längerfristigen Wachstumsperspektiven sind angesichts des Quasi-Verbrennerverbots 2035 düster, die Kosten zur Elektro-Transformation – gesamtwirtschaftlich wie unternehmensspezifisch – sind hoch. Hoffnung auf eine rasche Markterholung wie ab 2010 ist nicht in Sicht. Ohne Wachstum am Automarkt ist eine Erholung der Zulieferindustrie nicht möglich. Das heißt, die Wahrscheinlichkeit befürchteter Pleitewellen wird immer größer.
Viele Zulieferer werden auf der Strecke bleiben
Die deutschen Premium-Autohersteller werden das überleben, viele Zulieferer nicht. Ähnlich wie 2008/2009 auf dem Finanzsektor ist diesmal auch die Politik für die Zulieferer in der Autoindustrie gefordert. Doch dafür sind ausnahmsweise mal keine Rettungspakete oder zusätzliches Geld erforderlich.
Im Gegenteil: Die Politik kann hier sogar Steuergeld sparen. Sie muss nur die Verkaufsförderung der stark klimaschädlichen, weil kohlestromabhängigen Elektroautos so lange aussetzen, bis genügend grüner Strom zur Verfügung steht oder die E-Flotte via E-Fuels betrieben werden kann. Das Kerngeschäft der deutschen Automobilindustrie würde davon profitieren.
Zudem sollte sich die Politik vehement für Freihandel – auch mit China – einsetzen, um künftig Störungen der internationalen Lieferketten für die Automobilindustrie zu vermeiden und strategische Wachstumshemmnisse aus dem Weg zu räumen. Die Uhr tickt! Ohne baldiges Wachstum kommen die Pleitewellen.