IT, Marketing, Produktkommunikation

„Qualitativ optimale Stammdaten sind für alle Prozesse eine der grundlegenden Voraussetzungen für deren reibungsloses Funktionieren.“

Emmi ist die führende Herstellerin von hochwertigen Milchprodukten in der Schweiz mit einer eigenen Präsenz in 14 Ländern. Ihre Qualitätsprodukte vertreibt Emmi in rund 60 Ländern und stellt diese an über 50 eigenen Produktionsstandorten in elf Ländern her. Mit mehr als 9’000 Mitarbeitenden, von denen rund 70 % ausserhalb der Schweiz tätig sind, erwirtschaftete die börsennotierte Emmi Gruppe (EMMN) 2022 einen Umsatz von CHF 4.2 Milliarden.

Jürg Hofer ist seit 2003 für den Aufbau des Emmi MDM bei der Emmi Schweiz AG verantwortlich. Herr Hofer verfügt über umfangreiches Praxiswissen und Erfahrung im Bereich des Stammdaten-Universums und wird diese auch auf dem Stammdaten Forum 2023 mit uns teilen. Doch vorab verrät er uns mehr zum Thema Stammdaten – u.a. bei Emmi – im Interview.

 

 

Beschäftigen Sie sich mit der Umstellung auf SAP S/4?

Die Herausforderungen sind vielfältig. Dafür gibt es mehrere Ursachen. Zunächst stellt sich die Frage, ob die bestehende SAP-Landschaft in hohem Maße standardisiert und die Prozesse harmonisiert sind. Es sollten idealerweise keine großen Altlasten in Form tiefer Eingriffe ins System vorhanden sein. Dann stellt sich die Frage, wie das Stammdatenmanagement im Unternehmen organisiert und mit Tools ausgestattet ist. In der Emmi setzen wird das SAP MDG-M; SAM MDG-BP; SAP MDG-F und SAP RD ein. Dadurch sind wir ein Stück weit vom ERP entkoppelt und haben so die Möglichkeit, zum Beispiel die Umstellung in der Stammdatenwelt vorzuziehen.

Was aber ebenso wichtig ist, ist die Frage, ob die Umstellung auf S/4 Hana als Chance gesehen wird, Altlasten zu beseitigen und neue Wege zu beschreiten. Dadurch kann festgelegt werden, welcher der verschiedenen Umstellungsansätze (Braun-, Green-, Bluefield) zielführend ist. Diese Entscheide haben damit natürlich auch den größten Einfluss auf die Prozesse und Datenmodelle.

 

Welchen Beitrag können Master Data Abteilungen zur Unterstützung der Digitalisierungsstrategie von Unternehmen leisten?

Qualitativ optimale Stammdaten sind für alle Prozesse eine der grundlegenden Voraussetzungen für deren reibungsloses Funktionieren. Heute treffen wir auf dem Weg zur Digitalisierung noch viele Systembrüche im Unternehmen an, die verhindern, dass die Prozesse effizient funktionieren. Die Stammdatenorganisation kann hier helfen, um solche Systembrüche aufzuzeigen und für die notwendigen Veränderungen die Datenstrukturen zur Verfügung zu stellen. So sind wir aktuell dabei, unser auf Excel basiertes Adressverzeichnis aller Emmi Firmenadressen in ein System zu überführen, das die Verwaltung der Adressen und Firmenbeteiligungen vereinfacht und auch einen Datenaustausch mit unseren Partnern ermöglicht (Single Source of Truth).

 

Durch die Globalisierung und des Kostendrucks auf den Weltmärkten wird der Informationsbedarf von Menschen und Maschinen zukünftig weiter steigen.

Wie können Stammdaten hier unterstützen?

Viele dieser benötigten Informationen basieren auf Stammdaten. Ein schönes Beispiel liefert die aktuelle Diskussion zum Thema nachhaltige Verpackung, Gebühren und CO2-Abdruck. Um die geforderten Reports und Berechnungen erstellen zu können, bedarf es einer viel detaillierteren Betrachtung der Verpackungsstammdaten und ein Tollgestütztes Regelwerk. Das Stammdatenmanagement kann mit einer guten Einbindung in der Organisation und geeigneten Werkzeugen solche Anforderungen gut aufnehmen und die für das Unternehmen passenden Lösungen finden und umsetzen.

Welchen Beitrag hierzu leisten? – Möglicherweise durch eine intensivere Verwendung von Standard und damit Schaffung einer gemeinsamen „Sprache“, die von unterschiedlichen Maschinen gleichermaßen interpretiert werden kann?

Bei den heute bestehenden Anforderungen sind Standards das A&O um die Daten über die eigenen Firmengrenzen in Fluss zu bringen. Die gute Nachricht ist, dass es bereits solche Standards gibt – die schlechte, dass jede Branche ihre eigenen Standards hat. Bei Emmi heißt das konkret, dass wir in der Lebensmittelindustrie für den Datenaustausch auf GDSN (Global Network Synchronisation) nach GS1 setzen. Sobald wir aber im Bereich der Instandhaltung sind, müssten wir mit eClass arbeiten, usw. Das steigert die Komplexität und kostet erheblich Ressourcen.

 

Aufgrund der aktuellen geopolitischen Krisen überlegen Unternehmen, wie sie ihre Widerstands- und Anpassungsfähigkeit gegenüber unkontrollierbaren Veränderungen stärken können. Hierzu werden Strategien zur Optimierung der Supply Chain- und Produktionsresilienz erarbeitet.

Brauchen wir auch eine Strategie für eine „Stammdatenresilienz“?

Bezogen auf den Menschen beschreibt Resilienz die Fähigkeit von Personen oder Gemeinschaften, schwierige Lebenssituationen wie Krisen oder Katastrophen ohne dauerhafte Beeinträchtigung zu überstehen. Das kennen alle, die mit Stammdaten unmittelbar arbeiten, leider nur zu gut und haben sich diese Fähigkeit erworben oder eine neue Herausforderung gesucht.

Wie könnte diese Resilienz aussehen und welche spezifischen Themen müssten berücksichtigt werden?

Wenn wir die Stammdaten widerstandfähig machen wollen, so müssen die seit vielen Jahrzenten bekannten Schwächen im Datenmanagement eliminiert werden. Stammdaten gehören zur Infrastruktur wie eine Fabrik, mit dem Unterschied, dass ihnen deutlich weniger Beachtung und Mittel zur Bereitstellung und den Betrieb geschenkt werden. Solange das so ist, wird es in den Digitalisierungsprojekten nur langsam vorangehen und die Daten auch nicht so bereitgestellt, dass die schnellen Veränderungen an den Märkten effizient aufgefangen werden können.

 

Glauben Sie, dass die direkte Integration von Data Analytics Spezialisten in eine Master Data Abteilung diese eher sinnvoll ergänzen oder den Arbeitsfokus verzerrt?

Bei Emmi Schweiz gibt es keine Abteilung „Master Data“ im hierarchischen Sinn. Die Mitarbeitenden haben verschiede Data Management Rollen, wie zum Beispiel Business Data Steward, Business Data Owner, Master Data Koordinator, Keyuser Data Analyst, usw. Diese Rollen nehmen sie in der Organisation an den verschiedensten Stellen wahr. Die Zusammenarbeit ist über eine Matrixorganisation geregelt. Bei vielen Themen können nur in gemischten, nach Anforderung an die Aufgabe gemischt  zusammengesetzte Teams eine Lösung finden.

 

Ist Data Governance nur eine vorübergehende Angelegenheit? Und welche Beispiele können Sie uns für die Notwendigkeit von Data Governance nennen?

Unter dem Begriff Data Governance verstehen zwar nicht alle Unternehmen das Gleiche, aber die Antwort ist in jedem Fall, dass Data Governance ein Dauerthema sein wird, wie das gesamte Stammdatenthema. Wenn wir den Begriff Governance so verstehen, dass er die Art und Weise bezeichnet, wie eine Organisation oder ein System geleitet, kontrolliert und reguliert wird, um effektive Entscheidungsfindung, Verantwortung und Transparenz sicherzustellen, dann wird sofort klar, dass ohne eine solche, ein geregeltes Datenmanagement nicht zustande kommt. Eine der ersten Fragen, wenn es um das Thema Stammdaten geht, ist immer, wer ist wofür zuständig? Und damit sind wir mitten im Thema Governance. Da sich gerade Organisationen und Verantwortlichkeiten in einem Unternehmen immer wieder ändern können, wird das Thema Governance ein Dauerthema sein.

 

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