Finanzwesen

Studie von Roland Berger: So steht es um die deutsche Wirtschaft

Wie bewerten Restrukturierungsexperten den Zustand der deutschen Wirtschaft? Eine neue Studie liefert Antworten und zeigt, wo die Krisengefahr besonders hoch ist.

 

 

So düster war die Stimmung in Deutschlands Unternehmen schon lange nicht mehr. Das Ifo-Geschäftsklima, das auf einer Umfrage unter rund 9000 Führungskräften basiert und als wichtigstes Barometer für die Konjunktur in Deutschland gilt, sank im September auf 85,4 Zähler von 86,6 Punkten im Vormonat. Es war bereits der vierte Rückgang in Folge. „Die deutsche Wirtschaft gerät immer stärker unter Druck“, konstatierte Ifo-Präsident Clemens Fuest.

Schlechte Lage, trübe Aussichten, verschärfter Auftragsmangel – „die Kernbranchen der deutschen Industrie stecken in Schwierigkeiten“, betonte Fuest. Es ist eine Diagnose, die nicht nur Manager teilen, sondern auch jene Berater und Spezialisten, für die der Umgang mit Krisen Arbeitsalltag ist. Das zeigt die neue Restrukturierungsstudie von Roland Berger. Schon seit 2001 beleuchten Experten der Beratungsgesellschaft Trends und Entwicklungen im Sanierungsgeschäft. In diesem Jahr wurden dafür rund 200 Experten aus Deutschland aus den Bereichen Bankwesen, Insolvenzverwaltung, Private Equity, Sanierungsberatung und Unternehmensführung befragt.

Das Ergebnis ist eindeutig: „Angesichts der aktuellen konjunkturellen Aussichten und der rasanten technologischen Veränderungen werden tiefe Einschnitte vielen Marktteilnehmern kaum erspart bleiben“, heißt es in der Studie.

 

Wachstumsbremse Bürokratie

So rechnet die große Mehrheit der befragten Sanierungsprofis damit, dass das Bruttoinlandsprodukt in diesem und im kommenden Jahr ‚unverändert‘ (47 Prozent), ‚sinken‘ (36 Prozent) beziehungsweise sogar ‚stark sinken‘ (2 Prozent) dürfte. Nur 15 Prozent erwarten einen Anstieg. Zum Vergleich: In den USA gehen 80 Prozent der dort befragten Experten von einem spürbaren Aufschwung aus.

Auch die mittelfristigen Wachstumsaussichten hätten in Deutschland einen Tiefpunkt erreicht, schreiben die Studienautoren Alexander Müller, Adrian Pielken und Mortaza Nadjafi. Vor allem wegen des demografisch bedingten Rückgangs des Arbeitsvolumens drohe Ungemach: „Deutschland entwickelt sich vom ‚kranken‘ zum ‚alten Mann Europas‘“.

Als ähnlich gravierend wie der demographische Wandel und der damit verbundene Fachkräftemangel wird ein weiteres Problem wahrgenommen: überbordende Bürokratie. Der zunehmende Regulierungsaufwand ist demnach nicht nur lästig, sondern nach Einschätzung von 57 Prozent der Befragten inzwischen ein „besonderes Risiko“ für die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands.  

Es spreche Bände, dass das Thema auf Anhieb die meisten negativen Nennungen erhalten habe, heißt es in der Studie. „Bürokratie sichert im besten Fall wirtschaftliches Handeln ab – inzwischen scheint Deutschland hier nach Ansicht der Experten das rechte Maß allerdings verloren zu haben.“ Neben Überregulierung und  Fachkräftemangel werden auch der technologische Wandel und geopolitische Spannungen als Problemzonen der deutschen Wirtschaft genannt. Weniger oft als im Vorjahr wurden dagegen Energiepreise, Finanzierungskosten und Inflation erwähnt:

 


Bei der Frage, in welcher Branchen es den größten Restrukturierungs- und Transformationsbedarf geben wird, fallen die Antworten der Experten überraschend deutlich aus. Fast neun von zehn Befragten sehen den größten Anpassungsdruck in der Automobilindustrie. Gegenüber dem Vorjahr ist der Wert noch einmal um beachtliche 32 Prozentpunkte gestiegen. Kein Wunder: Vor allem die Zulieferer kämpfen derzeit mit Gegenwind. Vor wenigen Tagen hat mit WKW ein größerer Branchenplayer Insolvenz angemeldet. Und dabei wird es kaum bleiben: Während in den vergangenen Jahren steigende Material-, Energie- und Personalkosten durch Preisanpassungen und enge Kooperationen mit den großen Herstellern noch aufgefangen werden konnten, habe sich diese Möglichkeit „angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Lage der Kunden“ wohl erst einmal erledigt.

 

Konkurrenz aus Asien

Ein zentrales Problem seien die niedrigen und stark schwankenden Produktionsvolumina, die insbesondere in Europa weit hinter den Prognosen für 2024 zurückblieben, heißt es in der Studie. Diese Volatilität erschwere nicht nur die langfristige Planung, sondern sorge auch für erhebliche Unsicherheit in der gesamten Lieferkette. Gleichzeitig müssten die Zulieferer ihre Portfolios zügig anpassen: „Der Rückgang der Produktion von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren und der steigende Bedarf an Komponenten für Elektrofahrzeuge setzen die Branche unter enormen Anpassungsdruck.“ Verschärft werde die Situation durch die zunehmende Konkurrenz aus Asien, die aggressiv auf den europäischen Markt drängt, was den Margen- und Preisdruck auf die deutschen Zulieferer weiter erhöhe. Kurzum: „In der Automobilbranche ist der Handlungsdruck am größten.“

Nach der Krisenbranche Nummer eins folgen mit Bau und Immobilien (48 Prozent) sowie Handel (46 Prozent) zwei Wirtschaftssektoren, die im Vorjahr ähnlich eingeschätzt wurden. Auffällig ist die Veränderung dahinter: Der Maschinen- und Anlagenbau, Deutschlands zweite Schlüsselbranche und jahrzehntelanger Exportgarant, steht mittlerweile für jeden dritten Experten unter hohem Transformationsdruck. Und das Geld, um einen Kurswechsel zu stemmen, ist knapp.

 


So beurteilen 40 Prozent der befragten Experten die Möglichkeiten von Krisenunternehmen, an dringend benötigtes Geld zu kommen, als schlecht oder sehr schlecht. Die Finanzierungsherausforderungen seien damit so hoch wie seit zwei Jahrzehnten nicht mehr.

Klingt ganz so, als wäre die Debatte über den Standort Deutschland längst noch nicht vorbei.




Quelle: WirtschaftsWoche >>